Beginn des Inhalts.

Elba 2016: Speichenkummer und Speichenwunder

Kurz vor unserer Abreise von Elba wurde es doof, und das bemerkten wir leider erst am Abreisetag. Da waren schon sieben von 36 Speichen am Hinterrad der Victoria abgerissen, direkt an den Köpfen.

Wir traten die Abfahrt mit einem sehr unguten Gefühl an. Das war berechtigt. Kaum waren wir über den Berg bei Capoliveri hoch und wieder herunter gefahren, waren schon 16 Speichen (alle in Antriebsrichtung) abgerissen. Das hätte leicht das Ende der Reise auf eigener Achse bedeuten können. Wir beschreiben hier, wie wir die Probleme erfolgreich gelöst haben, und ja, wir haben es auf den eigenen drei Rädern die 1.200 Kilometer nach Hause geschafft, am Vorderrad mit 27 von 36 Speichen!

Abschnitte dieser Seite:

Weitere Seiten des Reiseberichts:

 

Basteln bei Gluthitze - na danke!

Das war nun nicht so prickelnd. Von 11:30 bis 16:30 Uhr schraubte ich im vollen Sonnenschein bei über 34° C vor mich hin.

Die einzig denkbare Lösung war, die verbliebenen Speichen von Vorder– und Hinterrad malerisch, strategisch und statisch klug zu verteilen. Das heißt natürlich, beide Räder gleichzeitig 'raus, Schlappen 'runter, Speichen sammeln, planen, umspeichen, zentrieren und wieder bereifen.

Übrigens, das alte Werbe–Holzfass im Hintergrund war vor rund 16 Jahren noch im Top–Zustand und die Aufschrift gut lesbar. Inzwischen sieht es samt seinem Sockel eher bedrückend aus, aber immerhin! Da gab es in Pausen Schatten und ein wenig Luftzug.

Tochter und Vater trugen das mit dem typischen (Galgen–)Humor und schlossen Wetten darauf ab, wieviele Leute uns Hilfe anbieten würden. Ich hatte auf zwölf getippt und lag am Ende nur knapp daneben - zehn Menschen waren so nett und boten uns alle Art von Hilfe an. Am nettesten war gegen Ende ein Mädel auf einem Roller, das fragte, ob es uns Wasser bringen sollte! Das war das zielführendste Angebot, aber da waren wir schon fast fertig (und hatten unsere zwei Liter Wasser aufgebraucht). Ich sehnte mich eher nach einem Bier.

Vorne waren jetzt noch 27 von 36 Speichen, hinten auch, aber am nächsten Tag riss noch ein geschwächtes Exemplar ab - da waren's nur noch 26. Dass uns das einen Tag extra kostete und Umplanung, war ohnehin klar. Also egal, ab in die nächste Bar und von da zur Fähre!

 

Das Wunder von Genua, Teil 1

Bis Cecina schafften wir es an diesem Tag noch und quartierten uns dort in einem eher teuren Hotel ein - aber immerhin, in der Nähe gab es günstiges Essen und gutes Bier!

Ein Liter Bier - das brauchte ich abends!
Bier in Strömen!

Am nächsten Tag ging es weiter Richtung Genua (320 km von Elba und 230 ab Cecina), denn es war klar, dass wir vorher auf keinen Fall Ersatz finden würden. Livorno oder Pisa bieten da keine Chance.

In La Spezia mussten wir die Speichen am Hinterrad nochmal nachspannen und das Rad nachzentrieren, das war aber kein großes Thema. So gegen 20:00 Uhr trafen wir - noch ohne Unterkunft - in Genua ein. Eher willkürlich begannen wir die Suche in einer abzweigenden Straße und fanden da ein günstiges Hotel in einem herrschaftlichen Palast. Von dem Aufzug da wird noch die Rede sein.

Nach dem Essen und um Mitternacht fällt der besten Tochter von allen ein, dass sie ihre High End–Digitalkamera hat offen im Seitenwagen liegen lassen. Na prima! Ich steige also missmutig in die Hose und die Schuhe, nehme den Fahrstuhl des Grauens, steige danach (!) die anderthalb Treppen zur Straße 'runter und stiefele zum Gespann.

Fährt ein Mann mit der Vespa und seiner fünfjährigen Tochter vor. Seine Begeisterung erwacht, während das Töchterchen auf dem Gespann herumturnt. Ich bete meine Sprüchlein herunter und erwähne die Speichen. „Moment, ”, spricht er, „da gibt es einen alten Raggista (Speichenheimer) an der Piazza Palermo.”. Er zückt das Smartphone und findet den nicht. Dann fällt ihm ein: „Warte 'mal, viel besser - Du fährst morgen da lang zum BMW–Service Panfili - der kann Dir helfen.”. Er schreibt's auf, ich bedanke mich mit leisen Zweifeln und krabbele samt Kamera zurück Richtung Bett.

 

Das Wunder von Genua, Teil 2

Wir stärken uns also morgens mit einem Cappuccino, Wasser und zwei Baci Perugini (so etwa das bessere Gegenstück von Ferrero Rocher und viel älter) und knattern die 500 Meter zu (Link: fremde Seite) Meister Panfili. Aha! Ein Motorrad–Stützpunkt! Das klingt schon besser. Wir treten ein und taumeln zurück. Der Laden steht voll top–restaurierter oder –erhaltener Vorkriegs– und Nachkriegs–BMW oder Gilera. Die Wände schmücken Fotos des Meisters von der Isle of Man oder Elefantentreffen - immer auf einem Gespann!

Panfili hört sich das Problem an und tritt auf die Straße, um das und das Gespann zu begutachten. Er ist des Lobes voll: „Sehr gut, ”, meint er, „so alte Gespanne fahren sich am besten ohne Hinterradfederung - ich setze meine an den BMW auch immer fest.”. Duplex– und Integralbremse finden auch sein Wohlwollen.

In dem Moment fährt auf einer Vespa Mario vor, ein älterer Mann. Panfili deutet auf ihn und spricht: „Wenn Euch einer in Genua helfen kann, dann er.”. Mario nimmt zwei Muster und knattert los. Zehn Minuten später schlägt er mit 16 passenden (!) Speichen wieder auf, acht davon verbogen, acht im Super–Zustand. So gute Speichen habe ich noch nie gesehen - kadmiert, hochfest, verlängerte Nippel! „Mehr als diese”, versichert er, „wirst Du in Genua nicht finden.”.

Was er denn dafür haben will? „Gib' mir 10,- €.”, lacht er. Mit knapper Not konnte ich ihm 20 aufdrücken - in der Lage hätte ich auch 100 gegeben!

Wir bedanken uns herzlich, Abschiedsfoto, und ab Richtung Passo dei Giovi zum Einspeichen. Die ganze Aktion hatte keine Stunde gedauert!

 

Einspeichen beim Passo dei Giovi

Ein strategisch kluger Platz für solche Vorhaben ist einer, wo es eine Bar in der Nähe gibt, wo man a) etwas essen und trinken kann, b) eine Toilette findet und c) sich die Pfoten waschen kann. Merke: Handwasch­paste ist Pflichtgepäck!

Der Autor nach der Einspeich–Aktion kurz vor dem Passo dei Giovi.
[ ± ]. Geschafft …

Der Spaß kostete uns wieder rund vier Stunden, aber dann war - bis auf das Vorderrad, das sich wacker schlug - alles gut. Mann-o-Mann, ich war da auch schon 56 Jahre alt, und wäre das vorherige „Training” nicht gewesen, hätte der Kreislauf das wohl nicht ganz so entspannt weggesteckt (Symbol: zwinkern).

Wie auch immer, die Notreparatur hielt und hält nach wie vor prima. Das Sammelsurium verschiedener Speichen (verchromt, verrostet, kadmiert) sieht vorne wie hinten ulkig aus, tut es aber sehr gut. Die Bremstrommeln beziehungsweise Naben fand das nicht so dolle, und es sollte etwas dauern, bis die sich wieder rund gezogen hatten.

Das Vorderrad haben wir erst zuhause ergänzt (am 14. August 2016) - es hielt die 1.200 km bis dahin ohne Probleme mit 27 statt 36 Speichen.

 
 
Ende der Seite.